Preisträger Elisabeth-Preis 2015

Elisabeth-Preis der Diakonie in Hessen 2015

Die Stiftung Diakonie Hessen vergibt in Kooperation mit der Diakonie Hessen den "Elisabeth-Preis der Diakonie in Hessen". Ausgezeichnet werden zukunftsweisende Ideen, Konzepte und Projekte. 
 

1. Preis, 5.000 Euro: RÖSTwerk Witzenhausen

Kaffeeduft hat eine entspannende, positive Wirkung und die Begeisterung für Kaffeespezialitäten hält in Deutschland seit vielen Jahren. Und viele Menschen trinken viel Kaffee. Warum soll das nicht auch in Witzenhausen so sein?

So auch in der Tagesstätte für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Und aus einer Idee wurde ein Ladenlokal am Markt gefunden. Der Raum wurde durch Anordnung des Mobiliars in die drei Bereiche Kaffeeröstung und -verkauf, Küche für Zubereitung der Speisen und Getränke und den Gastraum unterteilt. Das RÖSTwerk war geboren.

Alle Personen, die im RÖSTwerk tätig sind, tragen einheitliche Kleidung, was den Teamgedanken stärken soll und für Gäste nicht sofort offenkundig werden lässt, welche Menschen eine psychische Beeinträchtigung haben und welche nicht. Alle Mitarbeiter nennen sich "Kollegen". Die Mitarbeit im RÖSTwerk wird von den beeinträchtigten zehn bis zwölf Kollegen als Möglichkeit empfunden, etwas Sinnvolles und von Kunden Geschätztes und auch Bezahltes zu tun. Sie sind gefordert, auf die Kunden zuzugehen und den Kontakt zu suchen. Es ist zwar bekannt, dass sie eine psychische Beeinträchtigung haben, aber in der Wahrnehmung durch die Kunden steht die erbrachte Leistung im Vordergrund.

Die Zusammenarbeit im Team, in der gegenseitige Unterstützung groß geschrieben wird, stärkt den Einzelnen. Die Arbeit wird zur Förderung der Motivation entlohnt. Das Ziel ist, das hochwertige Produkt "Kaffee", ob als Bohne oder im Ausschank, gut zu vermarkten, aber andererseits auch das Thema "psychische Erkrankung" zu entstigmatisieren und Vorurteile abzubauen. Um auch zukünftig bestehen zu können, werden immer neue Marketingideen kreiert.

Das Projekt belegt, dass durch Engagement und den Mut, etwas Neues zu probieren, auch in einer strukturschwachen, ländlichen Region Innovationen gelingen können. Die Offenheit hinsichtlich der psychischen Beeinträchtigung, mit der sowohl der Träger als auch die Tagesstättenbesucher auf Bürger und potentielle Unterstützer zugegangen sind, fördert die Entstigmatisierung und motiviert zur Kooperation aller Beteiligten. 
 


2. Preis, 3.000 Euro: Schreibwerkstatt des Diakonischen Werks in Herborn

Die Schreibwerkstatt ist so konzipiert, dass in lockerer Atmosphäre jeder einzelne seine Stärken, seine Vorlieben und seine literarische Form einbringen kann. In der Schreibwerkstatt sind alle gleich, wir kennen nur unsere literarischen Gebilde. Keiner kennt die Herkunft und Verfassung der anderen, es sei denn er äußert es in Einzelgesprächen oder in seinen Texten.

Die Schreibwerkstatt ist ein runder Tisch der Gefühle. Wir können unsere Gefühle in Gedichte und Geschichten stecken und so für uns selbst begreifbar und für andere sichtbar machen. Wir können uns selbst mehr wertschätzen, weil wir für unsere Gefühle und Gedanken Applaus bekommen, wenn wir diese vorstellen. Wir geben uns selbst auch indirekt Lob und Anerkennung, indem wir für die Gefühle anderer klatschen und somit auch unseren ihren Platz zugestehen.

Diese Schreibwerkstatt ist gelebte Inklusion und verdient Aufmerksamkeit und Anerkennung.
 


2. Preis, 3.000 Euro: Dorfschmiede Freienseen

Hätten Sie es gedacht, dass jeder sechste Einwohner von Freienseen Mitglied im Förderverein für den Dorfladen und die Begegnungsstätte ist?

Hier geht es längst nicht mehr allein um das Projekt des ehemaligen Pfarrers Dr. Ulf Häbel, hier engagiert sich vielmehr eine ganze Dorfgemeinschaft. Menschen befreien sich gemeinsam aus der Haltung ein Objekt der Zuwendung sein zu sollen, werden in den Projekten "Wir für uns" und "Leben und Sterben, wo ich zuhause bin", selbst aktiv und nehmen die Gestaltung der Zukunft des Gemeinwesens und der eigenen Geschichte solidarisch in die eigenen Hände.

So kommen durch die Beschäftigung mit der eigenen Zukunft die Menschen in den Blick, die gerade jetzt die Zuwendung der Gemeinschaft benötigen. Davon erzählen die Tagespflege, das betreute Wohnen und die Demenzprojekte z. B. mit den örtlichen Sportvereinen in den MOMENT-Gruppen. So wird inklusive Gesellschaft gebaut, die es ermöglicht, in Freienseen zu Hause zu sein und zu Hause bleiben zu können.

Zugleich hat diese Inklusion auch die intensive Zusammenarbeit von Kirchengemeinde, Dekanat und Kommune bewirkt Die ganze Dorfschmiede ist also gebaute Inklusion. Ein konservatives Projekt im besten Sinne des Wortes.

Ja, es bleibt trotzdem immer etwas zu tun. Das Preisgeld soll eine kleine Ermunterung für alle Beteiligten sein, sich weiter zu engagieren. Es stehen immer noch Sanierungsmaßnahmen an.  
 


3. Preis, 1.000 Euro: Familienintegrative Wohngruppen des Elisabeth-Vereins, Marburg

In der stationären Kinder- und Jugendhilfe leben junge Menschen, die ihre Herkunftsfamilien aus verschiedenen Gründen verloren haben, manchmal vorübergehend, oft langfristig. Allein dieser Umstand führt zu einem oft erheblichen Verlust des Selbstwertes und der inneren Stabilität.

Der besonders inklusive Charakter von familienintegrativen Wohngruppen liegt in der Verbindung von familiärer Lebensgestaltung und sozialpädagogischer Fachlichkeit begründet. So entstehen authentische Ersatz-Lebensräume. Hier stellen sich Fachmenschen gleichzeitig ehrenamtlich als Familienmitglieder uneingeschränkt zur Verfügung, nicht nur mit ihrer ganzen Kraft, sondern auch mit Haus, Garten und Mobiliar sowie ihrer sozialen Umgebung.

Gelebte Inklusion trennt die Spreu vom Weizen in der Nachbarschaft und im Freundeskreis. Der Störfaktor ist schnell erkannt und muss weg. Dann ist Lobbyarbeit gefordert, oft bis tief in die Privatsphäre. Dieses anerkennenswerte Engagement, das Wohnen, Leben und Arbeiten verknüpft, verdient Nachahmung. Sie sind ein produktiver gesellschaftlicher Störfaktor.
 


3. Preis, 1.000 Euro: Richtsberg Mobil Marburg

Ein Fahrzeug wurde gemeinsam mit Jugendlichen zu einem "mobilen Wohnzimmer" umgebaut und wird seither von ihnen "Richtsberg Mobil" genannt.

Das Mobil kommt zu den Jugendlichen, sie werden aufgesucht. Das "Richtsberg Mobil" bietet die Gelegenheit für den Kontakt zwischen unterschiedlichen Altersgruppen und Kulturen. Die Jugendlichen beteiligen sich aktiv im Projekt, bringen selbst Beschäftigungsideen ein und gestalten mit anstatt zu konsumieren.

Das Richtsberg Mobil ist da, in Zeiten der Trauer, der Freude, bei Streit, bei der Ersten Liebe, in der Bewerbungszeit, bei Stress, im Sport, bei einer Tasse Tee, im Sommer, im Winter, also in ihrem Alltag. Dabei spielen Hautfarbe, Größe, Geschlecht oder Intelligenz keine Rolle.

Statt eines Projektes für Jugendliche ist es ein Projekt mit Jugendlichen geworden. Es zeigt Wege in gesellschaftliche Partizipation und gleichzeitig werden die Jugendlichen öffentlich wahrgenommen als aktive Gestalter ihres Umfeldes. Sie sind nicht auf die Rolle des Empfängers reduziert und werden sich in der Folge nicht selbst darauf reduzieren.

Die Mannschaft vom Richtsberg Mobil hat noch viel mehr zur Inklusion zu sagen. Man kann viel von ihnen lernen. 
 


Ausschreibung für die Preisverleihung 2015

Kein alter Wein in neuen Schläuchen
Die Entwicklung inklusiver Verhältnisse

Alle Jahre wieder wird ein neuer Terminus durch das soziale und diakonische Fachdorf gejagt. Aus Fürsorge wurde Sozialarbeit, aus Mitwirkung Partizipation, und jetzt eben wird aus Integration die Inklusion. Aber Inklusion ist mehr als ein anderes Wort für Integration. Inklusion bedeutet, dass Verhältnisse die Entwicklung unterschiedlicher Menschen zulassen. Insofern geht es nicht um ein bisschen mehr Freundlichkeit und Offenheit. Es wird für die, die sich eingerichtet haben, zukünftig anders. Nicht der Andere wird zugelassen, sondern ist gleichberechtigt eingeladen.

 

Gesellschaftliche Bedingungen im Wandel, das Zusammentreffen mehrfacher Umstrukturierungen und veränderte Sozialgefüge erfordern innovative Ideen, um einen Weg in eine neue Qualität zu finden. Solche besonderen Projekte, von denen Andere lernen können, die Mut machen, will der Elisabethpreis 2015 ins Licht der Öffentlichkeit bringen und bei ihrer Arbeit unterstützen.

 

Der Förderpreis in Höhe von insgesamt 12.000 Euro wird an Personen, Personengruppen und Einrichtungen im Bundesland Hessen verliehen, die Anstöße für solche zukunftsweisenden Ideen und Konzepte gegeben haben oder für ihre nachhaltige Durchsetzung stehen. Das Preisgeld soll deren Verbreitung und Umsetzung dienen. Der Elisabeth-Preis wird im jährlichen Wechsel mit dem Helmut-Simon-Preis verliehen.

 

Vorschlagsberechtigt für die Preisverleihung sind die Mitglieder der Gremien der Stiftung Diakonie Hessen, die Leitungen und Fachreferate der Diakonie Hessen sowie die Leitungen der regionalen Diakonischen Werke auf dem Gebiet des Bundeslandes Hessen.